Resonanzkatastrophe

Resonanzkatastrophe

Mein Bauwerk ist neulich zusammengekracht.

Wir Sänger:innen sind Menschen, zart mit Stimmbändern besaitet, die sich liebevoll um sich selbst kreiseln, wenn es um das eigene Instrument geht. Was sollen wir auch tun? Es steckt nun mal in uns drin und klingt im besten Falle aus uns heraus. Wenn es nicht klingt, sei Gnade mit uns.

Wir ziehen kritisch die Augenbrauen hoch. Das soll heißen: Jaaaa. Die Technik. Der Technik widmen wir unser Leben. Hängender Kiefer. Nicht zu hängend. Mund auf. Nicht zu weit auf. Flanken-Atmung. Nee, doch lieber in den Bauch, nein, Rücken. Wat denn nun? Stimmsitz. Ganz wichtig. Der Stimmsitz. Immer schön von oben soll sie kommen, die eingefädelte Stimme, die voller Formanten ein Opernhaus füllt. Was heißt denn Sitz? Die sitzt ja nicht irgendwo die Stimme, auf nem Stuhl. Ganz natürlich soll sie strömen… aber ich habe doch gerade noch an meinem Kiefer rumgefummelt und soll den weiter, bzw. nicht zu weit öffnen und dann die Zunge und so weiter, aber ganz natürlich soll das Ding da funktionieren. Den Blasebalg hier, den Blubberschlauch da, alles schwingt und blubbert, der Kehlkopf hängt mittendrin, aber nicht zu tief und nicht zu hoch, ups, jetzt war er doch ein bisschen zu tief, ach nee doch zu hoch. Der muss frei sein, unberührt. Was spüren sollst du nicht. Der Hals ist nur Durchgang. Die Luft strömt. Nicht zu viel Druck, nicht zu wenig. Bernoulli Effekt. Aerodynamische Strömung und der Laden läuft. Der Körper soll schön stabil, aber nicht fest sein. Die Rippen müssen beweglich sein, zumindest die unteren. Ist der Psoas verkürzt, mein lieber Scholli, haste ein Problem. Hohlkreuz pfui, da muss man ordentlich dagegen ziehen. Pobacken allerdings entspannen, vor allem in der Höhe… wobei da gibt es auch Lehrer: innen die sagen, man solle mal schön anspannen. Mit Wumms und so. Singen muss auch mal weh tun. Ja, nee das ist kein Spaß, es gibt Pädagog:innen die das vertreten. Mal das Baby so richtig ausschwingen lassen. Heißt: lass mal dein übelst geiles Vibrato so richtig wabern. Alles schon gehört.

Hör auf zu drücken. HÖR AUF ZU DRÜCKEN. Keinen Druck, bloß keinen Druck. Die Kuppel. DIE KUPPEL. Kuppel… Dom und so.

Die Vokale sollen immer authentisch klingen. Die Sprache soll verständlich sein. Ganz selbstverständlich sozusagen. Aber in der Höhe färbst du ein bisschen ein, rundest ab. Eigentlich rundest du immer ein bisschen ein, aber nicht zu viel… Bitte Konsonanten spucken, aber nicht zu viel, auch hier wieder ganz natürlich, während du an deinem Körper rum verbesserst. Na ja, ich muss es eigentlich nicht wiederholen.  So ist das als Sänger:in. Wir lernen immer hinzu. Unsere Körper verändern sich, nehmen zu, nehmen ab, bekommen Kinder, werden krank, gesund. Und jetzt kommt dieses Ding called Seele hinzu, die auch noch was mitzureden hat.

Meine Seele meinte dann neulich so: nö. Meine Stimme hat dann direkt mitgezogen, weil fiese kleine Coronaviren sie eh gerade gef… hatten. Nö. Punkt. Ich kling nicht mehr. Kannste dich auf den Kopf stellen. Ich hatte mir gerade diesen Kopfstandhocker besorgt, weil ich literally alles versucht habe, um meine Stimme zu überreden. Aber sie so. Nö. Ich blamier dich so richtig.

Okay. Das hatte gesessen. Also nicht im Stimmsitz. Musculus Vocalis im Vollstreik. Schleimhäute kaputt. Alles auf null. Nicht mal mehr meine Kinder konnte ich anschreien. Das wollte ich mir aber eh abgewöhnen, weil ich das so menschenverachtend finde.

Bis mir die Ärzte dann gesagt haben „joah, sieht nicht so schlecht aus, klingt halt nur scheiße“ waren dann ein paar Wochen vergangen. Und meine Seele war not amused. Die Muse war tot. Zusammengefallen in sich.

Wichtig ist zu beachten, dass man jetzt am besten nicht darüber spricht. Versagerin. Im Stillen.

Wer mich kennt weiß, dass ich vor allem gerne über Dinge spreche, über die MAN nicht spricht. Ich bin erstaunt. Bei der Stimmtherapeutin zu der ich gehe, gehen einige Sänger:innen durch die Hintertür rein, während andere zur Vordertür raus gehen. Damit sich niemand begegnet, ist das auf Wunsch so geregelt. Verständlich. Denn was für ein Versagen und was für eine Existenzangst.

Ich habe heute dann vor dem Haus eine große Sängerin getroffen. Eine die ich heimlich bewundere. Sie ist am Anfang ihrer Krise. Ich bin schon fast am Ende. Weil ich heute nämlich Suor Angelica durchgeext und meinen Mojo so richtig gespürt habe. Und woran habe ich gedacht? Nicht an meinen Kiefer, nicht an meinen Stimmstuhl, nicht an meine Zunge, nicht an meine Vokale. Ich habe nur an meine Seele gedacht und sie vorsichtig überredet wieder gut mit mir zu sein. Und ich habe ihr versprochen diesen ganzen Druck, den ich nicht haben soll beim Singen, den Druck den Druck rauszunehmen – das werde ich ihr abnehmen. Ich werde einfach mal schauen. Und ich werde mich in den Arm nehmen und sagen, dass alles gut wird und dass ich schon vieles richtig gemacht habe, sonst würde es nicht nur scheiße klingen, sondern hätte in der Innenansicht auch scheiße ausgesehen. Die Corona-Hexe kann mich mal.

Ich bin wahnsinnig dankbar, dass ich in wunderbaren therapeutischen Händen gelandet bin. Und dass ich an jemanden geraten bin, die mich ohne große Worte und Einordnung zum Resonieren bringt. Und ich wünsche mir sehr, dass diese einsamen Sänger:innen im Hochleistungsbereich ein bisschen netter zu sich sind. Und ich wünsche mir, dass niemand durch die Hintertür gehen muss und sich für sein verletztes, überlastetes Organ und seine traurige Seele schämen muss oder gar fürchten muss, seine Existenzgrundlage zu verlieren. 

Let’s talk about Stimmkrise Baby, let’s talk about you and me.

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