Kleingarten

Am Wochenende fahren wir in unseren Kleingarten. Samstag früh beginnt das große Packen. Es
mutet stets harmlos an. Der Klang des Wortes Kleingarten ist so unschuldig und nett, sehr deutsch, sehr gut einzuordnen. Ordnung, ja Ordnung muss sein. Die Ordnung liegt uns nicht per se, aber wir sind Eltern. Wir ordnen unsere Lebensmittel, die wir für zwei Tage brauchen. Die Jungs fangen an nach Essen zu schreien, sobald wir im Auto sitzen, also packen wir viel davon ein. Hier noch ein Müsliriegel in den Rucksack, dort noch eine Kleinigkeit im Auto versteckt, als Notreserve. Unsere Kinder haben uns voll im Griff. Sie schreien nach Futter, wir zaubern es von überall her, selbst, wenn wir behaupten, die letzte Reserve sei aufgebraucht. Wir sind gut erzogene Eltern. Wechselklamotten in den Beutel. Haben wir genug Windeln? Wir müssen dieses Mal den Kühlschrank mitnehmen, der steht schon seit zwei Wochen im Hausflur rum und wir müssen ihn endlich in das Gartenhäuschen bringen, damit wir auch dort ein Gefrierfach für Eis haben, denn was ist der Kleingarten ohne ein Gefrierfach für Eis?

Wir brauchen die frischen Handtücher und Putzlappen. Im Häuschen ist es immer recht schmutzig, denn… ja, wir befinden uns in der Natur. Nix mit Sterilität und Sauberkeit. Viele kleine Krabbeltiere, Spinnen, Raupen, Kellerasseln… Aber nichtsdestotrotz bemühen wir uns um
Ordnung und Sauberkeit. Was sein muss, muss sein. Wir sind schließlich in Deutschland, schlimmer: Brandenburg.
Der Siebenjährige schreit, er habe gar keinen Bock heute in den Garten zu fahren. Wir lassen uns nicht aus der Ruhe bringen. So ist das jeden Samstag. Der eine hat keinen Bock, der andere kann es kaum erwarten, endlich mit seinem Tütü (ja, wir sind so liberale Eltern, die ihrem Dreijährigen
erlauben sein Lieblingstütü anzuziehen) in den Sandkasten einzutauchen und eine richtig fiese Matschepampe zu machen! Wir packen und packen. Wir versuchen mit Hilfe einer weiteren Tasse Café ein bisschen fokussierter zu sein. Der große Sohn pöbelt aus dem Kinderzimmer. Etwa fünfmal bitte ich ihn sich anzuziehen. Keine Reaktion. Der Kleine braucht jetzt echt dringend seine zweite Hafermilchflasche, ganz voll, und kalt und mit dem Handtuch nochmal von außen trockengewischt.
Anziehen ist eine GROßE SCHEIßE. ANZIEHEN DEINE MUDDER. Du kannst mich Mal. Zähneputzen mache ich auch nicht, denn ich mache gar nichts von dem was du willst. In den Garten fahre ich auch nicht. Das kannst du total vergessen. Gleich packe ich mein schlimmstes Repertoire an Wörtern aus, die ich diese Woche in der Schule gelernt habe. In der zweiten Klasse da kann ich zumindest schon H..sohn und sowas. Da kannste was erleben. Nächster Café. Ich kümmere mich darum, mich selbst zu restaurieren. Die Dusche tut gut. Na ja, okay abgesehen von dem Geschrei, was zu mir durchdringt, weil die Jungs meinen, es sei ein guter Zeitpunkt sich mal so richtig zu kloppen.

Warum, frage ich mich, können wir uns nicht mal entspannen und unsere Kinder einfach vor die Flimmerkiste setzen. So machen das andere Leute doch auch. Kind vor den Fernseher. In Ruhe packen. Fertig. Bumms. Nein, wir müssen ja so Öko-Eltern sein, die der Meinung sind, zu viel Glotzen sei schlecht für die zarten Gehirne ihrer Kinderchen. Tatsächlich ist das stets folgende Ausrasten der lieblichen Wesen Beweis unserer Theorie, dass zu viel Geflimmer uns in noch größere Verzweiflung stürzt. Wir setzen also tapfer auf Lesen und Schlichten und beten, dass es sich irgendwann auszahlt.

Unser Startzeitpunkt ist seit 30 Minuten überschritten. Mist, wenn wir ankommen, ist fast schon wieder Mittagsruhe in der Kleingartenanlage. Und die Mittagsruhe, die ist heilig. Wir lassen uns knechten von der gesellschaftlichen Pflicht gute Eltern zu sein. Wir sind wir dazu angehalten unsere Kinder im Griff zu haben. Mittagsruhe ist Mittagsruhe. Da sollen wir die Bälger gefälligst ins 10 qm große Gartenhaus holen. Ok. Nicht mehr viel zu packen. Wir fahren gleich los. Der Vater holt das Auto, die Mutter versucht das mit dem Zähneputzen nochmal durchzusetzen. Ein bisschen schwarze Pädagogik muss her. Wenn du nicht die Zähne putzt, werden sie schwarz und fallen aus. Zack. Das hat funktioniert. Auf meiner Scham-Skala (aka gewaltfrei und so…) wandert der Punkt nach oben, aber dafür ist jetzt keine Zeit. Wir müssen es schaffen vor der Mittagsruhe im Garten zu sein. Nix mit lustig. Wir fahren in unseren schönen, grünen Garten, der immerhin ein Drittel Erholungsfläche beinhält. Erholungsfläche, die wir gleich zu unsrer Erholung nutzen. Wir müssen es nur noch die Treppe runter und ins Auto schaffen.
Berlinmarathon, die Strecke ist gesperrt. Kacke. Da rum? Wir müssen hier raus. Gleich plärrt einer, er brauche dringend ein Hörspiel, sonst drohe ihm der Tod oder uns noch viel Schlimmeres. Wir sind verspätet und länger unterwegs als gedacht, aber wir schaffen es in die liebliche Natur.
Wir parken auf dem Laubenpieper-Parkplatz. Ober-Gartenfreund P. weist uns schroff darauf hin, dass wir uns einen anderen Parkplatz suchen mögen, der hier sei zu eng. Wir deuten seine Art als brandenburgische Nettigkeit und parken um.

Wir transportieren das Gepäck, die Kinderfahrräder und den Kühlschrank zu unserem Garten. Hallo hier, hallo da. Ein paar echt nette Leute gibt es hier und es werden immer mehr Berliner. Die Berliner nerven mit ihrer naturnahen Art zu gärtnern. Überall Unkraut. Und diese Unordnung…

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