Ich schaff’ das nicht

Ein Kaiserschnitt kann ein Segen sein für Mutter und Kind. In mir jedoch blieb ein Gefühl hängen: Wenn mich alle in Frieden gelassen hätten, dann hätte ich auf natürlichem Weg mein Kind bekommen. Wenn mich jemand beobachtet und die Situation analysiert hätte, mir einige wichtige Hinweise gegeben hätte, dann hätte ich mein Kind vaginal bekommen. Möglicherweise wäre mir diese OP erspart geblieben. Möglicherweise hätte das Stillen besser funktioniert.

Mein erster Sohn ist 2014 per Kaiserschnitt entbunden worden. Eine PDA wurde gelegt, ich fühlte mich ausgeliefert. Nach 36 Stunden und drei Schichten Hebammen hatte keiner mehr Geduld und Nerven. Ich war froh, als ich ihn endlich im Arm hatte. Beim Zunähen habe ich ihm „Weißt du wie viel Sternlein stehen“ vorgesungen.

Vier Jahre später war mein zweiter Sohn auf dem Weg. Die Jahre dazwischen habe ich gebraucht, um mich von der Hyperemesis (übermäßiges Erbrechen während der gesamten Schwangerschaft) zu erholen. Nach neun Monaten Kotzen, gibt es nichts Schöneres, als endlich zu gebären.

2017 schwanger, kotzend sind wir umgezogen und in meinem Bauch machte sich ein wohliges Gefühl von zu Hause breit. Warum nicht in meinen vier Wänden entbinden? Lasst mich alle in Ruhe.

Ich machte mich auf die Suche nach einer Hausgeburtshebamme und erzählte ihr meine Geschichte. In „Zustand nach Sectio“ gibt es nicht viele Hebammen, die eine Hausgeburt betreuen. Abgesehen davon, dass es sowieso kaum noch Hausgeburtshebammen gibt.

Die Hebamme war die erste, die auch meinem Mann zu verstehen gab: vielleicht hat deine Frau Recht, vielleicht hätte sie ihr Kind einfach bekommen.

Viele Tränen der Aufarbeitung, einige Monate der akribischen Vorbereitung und Analyse der letzten Geburtssituation später, ging es los.

Blasensprung am späten Abend. Gnnn… wieder ein Zeitlimit (Hausgeburtshebammen haben strenge Vorschriften). Den Großen wecken, Plan A Kind zu Freunden bringen, Auto für den Notfall organisieren, Nachbarin wecken, damit die wehende Frau nicht alleine ist. Kind will sich nicht aussortieren lassen, also Plan B: Babysitterin herrufen, sie ist nur 5 Minuten entfernt, super. WOW, das tut weh… Schon die 2. Welle hat es in sich. Ich ziehe mich schleunigst zurück ins 1,5qm große Bad und versuche, einen Einlauf zu machen. Nee, das ist nicht cool. Einläufe sind großartig (ich spreche sehr gerne über Einläufe), aber das hier, nee. Die warme Wanne soll es richten, nee Arschloch-Wanne, das geht gar nicht. Ich stöhne in den Hörer, selbst der Mann der Hebamme erkennt, dass das nicht mehr lustig ist, die Hebamme fährt los. Was jetzt folgt sind rasante Eröffnungswehen, ich klammere mich mit aller Kraft an meinen Mann, wo sind die scheiß Wehenpausen, die mir versprochen wurden? Was war mit Hypnobirthing? Ich bin verdammt noch mal Sängerin und kann atmen… scheiße das ist mein Beruf. Wenn mir noch mal jemand was erzählt vom Wegatmen der Wehen, werde ich zur Wildsau. Welche Frau hat behauptet sie hätte ihr Muttermund wie eine Blume geöffnet und ihr Baby rausgeatmet? Wer war das? Wo ist hier der Pausenknopf? Ich schaffe das nicht. Wer hatte die Idee mit der Hausgeburt? Soll ich den Rettungswagen rufen?

Kurze Pause. Dauerschmerz. Ich bewege mich auf allen Vieren in Zeitlupe ins Wohnzimmer. Mein Mann darf mich nicht anfassen, in meinem Bauch spüre ich ein Wenden, das Baby dreht sich in den Geburtskanal. Dauerschmerz. Scheiße. Ich brauche eine Pause. Ich bleibe auf allen Vieren, denn was anderes geht nicht. Wehe jemand macht das Licht an.

Die Hebamme kommt. Ich schaue sie nicht mal an. Ich gebe knappe Kommandos. Vorhänge zu. Heizung an. Wehe jemand spricht. Das ist mein Raum.

Ich brülle. Ich schaffe das nicht. Ich schaffe das nicht.

Die Hebamme sagt, alles ist so wie es sein soll. Wie bitte?

Ich schaffe das nicht.

Wer kann mich hier und jetzt aufschneiden?

Ich brülle. Wehenpause. Ob ich das Köpfchen berühren möchte? Nein! Welches Köpfchen überhaupt? Ich kann mich keinen Zentimeter bewegen. Ich kann nur wimmern und brüllen. Dann tue ich es doch.

Das ist ganz weich. Das ist ganz klein. Das ist mein Baby.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Es soll vorbei sein. Die Hebamme bittet mich in eine andere Position. Soll das ein Witz sein? Ich brülle und schiebe. Ich soll atmen? Jetzt soll ich hecheln? Was soll der Scheiß? Ich pfeife auf Dammschutz. Alles ist mir egal.

Ich schaffe das nicht!

Flupp

Er ist da.

Mein Geburtsschmerz, meine Kraft, meine Regeln.

Was für ein Geschenk.

Ich hab’s geschafft.

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